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In Ketten

Der ULV zum Regierungsprogramm 2020 (PDF-Version)

Im neuen Regierungsprogramm bekennt man sich zur „bestmöglichen“ Finanzierungs- und Planungssicherheit für die heimischen Hochschulen. Ja, man wird aus nicht einhaltbaren Versprechungen klug: 2008 ließ sich die Regierung noch zu folgender Formulierung hinreißen: „Die Bundesregierung bekennt sich zum Ziel mit öffentlichen und privaten Investitionen 2% des BIP im tertiären Bildungssektor zu erreichen.“ Wir wissen, dass daraus bis heute nichts wurde. Zwar führte die „unibrennt“ Bewegung 2009 zu einer symbolischen Mini-Finanzspritze aus der Notfallreserve und der überraschende Beschluss 2017 im Nationalrat über „zusätzliche Mittel“ für die Universitäten zu einer vorübergehenden Euphorie in den Leitungsetagen der Unis, doch wurde der vermeintliche Erfolg nach Bekanntwerden neuer Spielregeln für die darauf folgende Leistungsvereinbarungsperiode erheblich relativiert.

Das Zauberwort hieß Studienplatzfinanzierung. Mit diesem legistischen Regelwerk wurden fast unbemerkt Tatsachen geschaffen, die den freien Hochschulzugang endgültig beseitigten, den Verhandlungsspielraum der Rektorinnen und Rektoren für die Dreijahresbudgets enorm einschränkten, Wertigkeiten für Personalkategorien einführten und die budgetäre Teilung von Lehre und Forschung in Stein meißelten. Auf der anderen Seite hing die glänzende Karotte einer verlockenden Anzahl neuer Stellen für Professuren – zur Verbesserung der Betreuungsverhältnisse, wie es hieß. Kein Wunder, dass sich damals die UNIKO zu keiner einheitlichen Haltung durchringen konnte, weil die Universitäten „zu unterschiedlichen standortspezifischen Wertungen gekommen“ waren, wie der damalige Präsident Vitouch 2017 sagte. Damit gab es die ideale Ausgangslage für die Umsetzung dieser – pointiert formuliert – neoliberal-planwirtschaftlichen Maßnahme, und so geschah es.

Genau diese Sachverhalte muss man jetzt kennen, wenn man im aktuell vorliegenden Regierungsprogramm die nach der Präambel folgende erste Zielsetzung begreifen will, die in der konsequenten Fortführung und Weiterentwicklung der „Universitätsfinanzierung NEU“ mit allen eingeleiteten Umsetzungsschritten besteht. Und das bis 2027! Aus dem 3-Jahresplan wird ein 6-Jahresplan. Hat man sich die Konsequenzen wirklich gut überlegt? Kleine unvorhersehbare Änderungen in der Personalstruktur einer Universität, beispielsweise eine Laufbahnstelle, die nicht rechtzeitig besetzt werden kann, jemand der „wegberufen“ wird oder Studierende, die mangels Prüfungserfolg das Studium abbrechen: All das trifft diese Universität unmittelbar mit negativen budgetären Auswirkungen. Augen zu und durchlassen wird die Devise aus wirtschaftlichen Gründen sein! Und schon haben wir unqualifiziertes Personal, etwa im Gesundheitswesen, um ein gesellschaftlich angstbesetztes Beispiel zu nennen. Das kann nicht der richtige Weg sein und es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass sich wissenschaftliche und künstlerische Tätigkeiten nicht überregulieren lassen (dürfen).

Das implizit grassierende Misstrauen gegenüber Universitätsangehörigen, wonach Studierende grundsätzlich zum Trödeln und die Beschäftigten zum Tachinieren tendieren würden, treibt bisweilen seltsame Blüten, die im permanent überbordenden Evaluierungszwang zu Tage treten, der seit gut 15 Jahren alle Beteiligten unverhältnismäßig belastet und enorm viel kostet. Die guten Ergebnisse für das Lehrpersonal können sich übrigens sehen lassen, während andererseits die Effizienz der Leitungsebene – gemessen an der überproportionalen Häufigkeit mit der sich Gerichte mit Rektoratswahlen und Absetzungen und Absetzungsversuchen von Rektoratsmitgliedern beschäftigen müssen – einen Qualitätsschub gut vertragen würde.

Ja, das angekündigte „Überdenken des Verhältnisses Universitätsrat, Rektorat, Senat in den Entscheidungsstrukturen“ ist ein guter Ansatz, den man mit einer längst überfälligen organisationsrechtlichen Strukturreform ideal verbinden könnte: Nämlich der Schaffung einer einheitlichen Gruppe des wissenschaftlichen und künstlerischen Universitätspersonals. Man glaubt es kaum, dass diese Absichtserklärung bereits 2008 im damaligen Regierungsprogramm verankert war. 12 Jahre danach sollte klar sein, dass ein antiquiertes Kuriensystem mit modernen Zielen der Innovation, Weiterentwicklung, Exzellenzstärkung, Transparenz, Internationalisierung etc. nicht kompatibel ist. Es behindert die Arbeit an Universitäten, weil es sich längst nicht mehr homogen in die seit 2002 neu entwickelten Strukturen fügt und Kollateralschäden verursacht, wenn etwa gesetzliche Vorschriften zur Senatswahl mit jenen zur Bestellung von Personen zur Leitung von Organisationseinheiten kollidieren. Vorsintflutliche Ketten gehören gesprengt und jüngst entstandene auch!

Die für Lehrpersonal an Universitäten 2002 eingeführte Sonderregelung für mehrfache Aneinanderreihungen von befristeten Arbeitsverträgen von bis zu 12 Jahren steht seither im Kreuzfeuer entgegengesetzter Interessenslagen. Für die Universitätsleitungen gehen die Befristungsmöglichkeiten nicht weit genug, während die Personalvertretungen sie als sachlich und sozial ungerechtfertigt betrachten. Letztere begrüßen daher die im neuen Regierungsprogramm verankerte Absicht die Kettenvertragsregelung zu reformieren. Allerdings handelt es sich dabei keineswegs um den Verdienst irgendeiner österreichischen Regierung, sondern um die kraft EuGH-Spruch erforderliche Umsetzung von europäischem Recht, ausgelöst durch ein arbeitsgerichtliches Verfahren zur Frage der Diskriminierung von teilbeschäftigten Arbeitnehmerinnen. Somit wird EU-Recht fast zwei Jahrzehnte nach der Ausgliederung der Universitäten die für die Privatwirtschaft maßgebliche Normalität des Arbeitsrechts schaffen, zumindest für den Bereich der Kettenverträge; wenn sich nicht wieder jene Kräfte durchsetzen, die meinen, man könnte EU-Recht auf nationaler Ebene legistisch unterlaufen.

Aus dem Blickwinkel der Personalvertretung kommt der Appell

  • die „Studienplatzfinanzierung NEU“ neu zu überdenken und kontraktorientiert fair umzusetzen,
  • die gesetzliche Grundlage für zeitgemäße Organisations- und Entscheidungsstrukturen zu schaffen,
  • Ausmaß und Form der Evaluierungsverfahren auf ihre Zweckdienlichkeit zu überprüfen und
  • bei der Wahrung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, anstatt auf die Judikatur des EuGH zu warten, Eigeninitiative zu entwickeln.

Zum Schluss noch außerhalb des Protokolls des Regierungsprogramms:
Was das – zur Zeit leider im wahrsten Sinne des Wortes – brennende Thema Ökologie und Klimaschutz betrifft, könnte man sich darauf besinnen, dass an Universitäten seit jeher auch ohne jede mediale Aufmerksamkeit Kompetenz und Expertise zu den einschlägigen naturwissenschaftlichen Forschungsfeldern hervorgebracht und gepflegt werden. Diese Bereiche sind fächer- und disziplinenübergreifend: Es gibt jede Menge Synergien zu Geisteswissenschaften, Kunst und Kultur! Es gibt Friedensforschung! Es gehört zu den gesellschaftlichen Aufgaben von primär öffentlich finanzierten Universitäten, Lösungen für die Wohlfahrt der Gesellschaft zu finden, die von der Politik umgesetzt werden sollten. Man könnte und müsste daher dringend über eine inhaltlich motivierte zusätzliche ökonomische Unterstützung nachdenken, die sich nicht ausschließlich am ständig variablen Arbeitsmarkt orientiert. Denn die Ziele, eine lebenswerte Umwelt sicher zu stellen und politische sowie wirtschaftliche Grundlagen für ein friedvolles Zusammenleben zu schaffen, bleiben konstant.

Dr. Stefan Schön
Pressesprecher des Verbands des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals der österreichischen Universitäten (ULV),
stellvertretender Vorsitzender der Universitätengewerkschaft in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst und
Vorsitzender des Betriebsrats für das wissenschaftliche und künstlerische Personal an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien


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