Exzellentiokratur und Unbildung
Ein Kommentar von Gert Bachmann am 28.Juni 2011
aktualisiert 7.Juli 2008
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Der Excellenzbegriff als mystischer Überbau für die Quadratur des Kreises zwischen Qualität, Quantität und gesellschaftspolitischem Anspruch der neuen Rücksichtslosigkeit.
Unsere Kultur kannte bereits diverse tabuisierte und instrumentalisierte Dogmata, welche tunlichst verschwommen definiert blieben und dennoch mit dem Praefix „für“ als Rechtfertigung jeglicher autoritärer Handlung der Proponenten dienten: Die höhere Ehre Gottes, Kaiser, Gott und Vaterland, Das deutsche Volk, Der Fortschritt. Und hier reiht sich nahtlos an: die Exzellenz.
Alles dreht sich zur Zeit um den nicht ausgesprochenen, aber tatsächlich erhobenen Herrschaftsanspruch der selbsternannten oder von Strickleitersystemen beglaubigten Exzellenten über das metrisch weniger ausgewiesenene, sozusagen unexcellente Minderleisterproletariat, welches sich nach dem Willen der Exzellentia tunlichst von Wirtschaftspolitik, Staatslenkung und natürlich auch der Universität fernhalte, dort zumindest ruhig verhalte oder die Universität gar nicht erst betrete, zumindest schnell wieder verlasse.
Letzteres war bisher schwer zu betreiben, wird aber nun durch eine Exzellenzhürde gleich am Beginn des Studiums installiert. Die österreichische STEOP ist nun das neue perfide Tool zum Aussieben von braven Exzellentia JüngerInnen. Denkende, sensible Meschen mit Bedürfnis nach breiter selbstverantworteter Bildungsstrategie in selbstbestimmtem Tempo, welche allenfalls nebenbei arbeiten oder sich um andere Menschen (ihre alten Eltern) kümmern wollen, werden hinweggeekelt. Das Feigenblatt zu dieser Maßnahme ist das unter bester Akzeptanz aller EntscheidungsträgerInnen, mit voller Absicht verknappte Bildungsbudget. Sinnvollere Alternativen eines zeitgerechten Leistungsnachweises (Vordiplom o.ä.) sind ja dank Bologna nicht mehr so leicht möglich. Es geht doch nicht um den Kritikern regelmäßig unterstellten Wunsch nach leistungslosem Studium, sondern um Vermeidung einer rein sparpolitisch motivierten Demotivation, Negativselektion und Studierendenwegweisung!
Kurz gesagt bewegen wir uns in Richtung einer Exzellentiokratur welche ihre Rechtfertigung aus manipulativen Ratingagenturen diverser Art bezieht. In der Ökonomie haben wir „Standard and Poors“ (die Standard setzenden und die Armen- nomen est omem). In der Naturwissenschaft haben wir „ISI web of knowledge“. Das Werkzeug der Exzellentiokratur ist die nur scheinbar objektive Metrik in Form des Impactfaktor, die Drachensaat des Herrn Dr. Eugene Garfield.
Der zu entzaubernde Mythos der Objektivität durch Metrik besteht darin, das die Komponenten für die verwendete Metrik keine objektiven Kriterien außer wenigen in ihrer Bedeutung drastisch überhöhten Maßzahlen, welche aus der wechselseitigen Zitation in akzeptierten Strickleitersystemen kommen, beinhalten. Dies wurde bereit mehrfach diskutiert und belegt. Welche Konsequenzen zog die Universität Wien? Gar keine, soweit erkennbar.
So wird in den Naturwissenschaften gerne dieser Faktor als Qualitätsmaß herangezogen, die Qualität der Lehre aber kaum. Tatsächlich relevante Kriterien wie Innovativität, Didaktische Strukturiertheit oder Motivation zum selbständigen Denken bzw. auch ökologische Nachhaltigkeit bleiben, da schwerer messbar, komplett außen vor. Hier besteht akuter Nachholbedarf! Selbst der Nobelpreis, einst objektive Auszeichnung für das finden von Erklärungen oder Mechanismen für zentral wichtige Phänomene, ist heute längst zum Strickleitersystempreis pervertiert worden. Originalität ist unerwünscht. Alles was den Mainstream in Frage stellt oder in unabhängiger Affilierung erarbeitet wird, ist heute extrem schwer publizierbar geworden.
Qualitätssicherung durch zählen nicht adäquater bzw, zu weniger Parameter ist logischerweise keine hinreichende Methode, sondern erzeugt irrelevantes oder zumindest unvollständiges Datenmaterial, das somit als Entscheidungsgrundlage ungeeignet ist und in eine falsche Richtung weist wie ein falsches Korrelationsmodell. Dabei fällt auch der nicht metrisch erfassbare soziokulturelle Auftrag der Universitäten komplett unter den Tisch. Und dennoch ist Impactmetrics derzeit die Basis der universitätspolitischen Entscheidungen, nicht nur an der Universität Wien.
Dies geht einher mit beinahe götzenhafter Verehrung besonders angloamerikanischer Excellenz und der grotesk anmutenden Geringschätzung einer (an einer Stelle) im Lande selbst erworbenen Qualität. Dies geht so weit, das an der Universität Wien bestens integrierte und reichlich Drittmittel einwerbende Personen keine permanente Position/Entfristung bekamen, weil sie vorgeblich nicht exzellent genug waren, und dann aber etwa in Göttingen oder Berlin sehr wohl für eine Professur berufen wurden! Einmal im Leben müsse man Österreich verlassen, so das Credo. Dabei ist doch hinlänglich bekannt, das der Erwerb von Erfahrung im Ausland längst nicht mehr an eine Stelle im Ausland gebunden ist, sondern ebenso in Kooperation mit Projektpartnern erworben werden kann. So kann einE WissenschafterIn an einer Stelle im Inland de facto mehr Erfahrung erwerben als eine Person im Ausland. Das geht aber in die Köpfe der JugendquälerInnen und GralshüterInnen der Excellenz nicht hinein. Was hier fehlt, ist eben eine robuste, ehrliche Evaluierung, zu der sich die Universität niemals durchgerungen hat. Vetternwirtschaft und strategische Professurenplanung durch Machtmenschen machten dies bisher unmöglich. Hoc volo, sic iubeo, pro ratio sit voluntas.
Der „Paradigmenwechsel“ stellt sich schlicht so dar: eine Gesellschaft frei denkender, aufgeklärter Menschen wird zu einem Markt von brav konsummierenden, rücksichtslosen, Excellenzdogmata und Werbungsfloskeln nachbetenden, angsterfüllten Sklaven, welche, wie Cato der Ältere sagte, die Vergangenheit bedauern, die Gegenwart bejammern und die Zukunft zu recht fürchten, da die Alten sich in unserer Gesellschaft still zu entmaterialisieren haben..In unserer Gesellschaft allgemein verschwinden humanistisch demokratische Gruppierungen zugunsten von willfährigen oder durch Leistungsdruck manipulierten Garanten eines längst kontraproduktiven Wirtschaftswachstums anachronistischer Produkte. Im Bildungswesen gibt es enormen Druck zu einem Trend weg vom aufgeklärt verantwortungsvoll agierenden Menschen zum metrisch beglaubigten Exzellenten ohne humanistich ökologische Verpflichtung oder philosophische Bildung.
In den künftigen Exzellentiokraturen konsummieren dann wohl Kurzzeitexzellente knapp vor dem kollektiven Burnout sogenannte exzellente Produkte und Dienstleistungen und überhöhen mit aufgesetzt positivistischem Excellentenvokabular ihre in Wahrheit jämmerliche Existenz als Herausforderung. In immer kleineren „funktional optimalen“ Räumen mit bestem „hospitality value“ werden die Excellenten in spe zusammengepfercht und auf Überleben durch Rücksichtslosigkeit und Wahrnehmungsverweigerung geprägt. In Existenzanalyse geschulte Psychiater werden ungeahnte Märkte vorfinden. Wenn ich daran denke das meine Kinder so aufwachsen und studieren sollen habe ich Angst um sie.
Es bleibt die Frage: cui bono? Wer schöpft den kurzfristigen Mehrwert des methodischen Wahnsinns? Wir alle oder Oligarchen und geschickte Opportunisten? Die Antwort ist klar: Oligarchen manipulieren Opportunisten und seelisch gestrandete Existenzen bzw. erpressen vernünftige Menschen, an der Basis des Bildungswesens Strukturen zu schaffen, welche die sogenannten Märkte in ihrem unmündigen subalternen Dämmerdasein zementieren.
Jedoch: in neoliberaler Rücksichtslosigkeit werden wir uns stärkeren Konkurrenten gegenübersehen. China hat bspw. Ungarn und weite Teile Afrikas bereits de facto gekauft. Die USA manipulieren mit ihren Ratingagenturen unsere Lebensbasis. Könnte nicht eine Rückbesinnung auf humanistisch gefestigte Kultur und Bildung Europas davor besser schützen als perspektiveloses Nachahmen von fehlgeschlagenen Strategien wie des Tagtraumes von der „Weltspitze“ a la Harvard?
Hier muß eine Universität doch gegensteuern können. Das erhofften wir vom künftigen Rektoratsteam. Und dazu brauchen wir Demokratie in Form einer Partizipation mit adäquatem Facultymodell anstatt dem gescheiterten bisherigen Direktionismus, und selbstbestimmtes, mit Augenmaß leistungsüberprüftes Studieren an der Universität, sowie Entwicklungsperspektiven an funktionell adäquaten Standorten anstatt Gebäudepoker mit BIG und Raika.
sperare contra spem
Gert Bachmann, Betriebsrat, ULV